Zwei Sprachen, zwei Kulturen, doppelte Chancen

Bekannte türkischstämmige Persönlichkeiten in Reutte raten Jugendlichen, auf Bildung und Sprachkompetenz zu setzen. Nur dadurch gelinge ein gesellschaftlicher Aufstieg

Die Regionalentwicklung Außerfern (REA) arbeitet zurzeit an der Erstellung einer Bildungs- und Berufsberatungsbroschüre für Außerferner Jugendliche mit Schwerpunkt Matura und Studium. Die Inhalte werden zurzeit mit den Schülerberatern und der Schulpsychologie Reutte abgestimmt. Diese Broschüre greift auch das Thema Bildung und Sprachkompetenz bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund auf. Gerade türkischstämmige Jugendliche sind an Gymnasium, HAK/HLW und am Ingenieurskolleg nach wie vor unterrepräsentiert. REA lässt in dieser Broschüre bekannte Persönlichkeiten zu Wort kommen, die den Jugendlichen und deren Familien Mut machen sollen. Für Dr. Senay Yildirim, Frauenarzt am Bezirkskrankenhaus Reutte, ist das akzentfreie und grammatikalisch einwandfreie Beherrschen der deutschen und der türkischen Sprache der Schlüssel zum Erfolg. Er spricht sich dafür aus, dass Sprachförderung an Kindergärten und Schulen beide Sprachen umfassen soll. „Wer zwei Sprachen spricht, hatte doppelte Chancen auf Erfolg. Sich in zwei Kulturen zurechtzufinden, ist zudem eine persönliche Bereicherung“, ist Yildirim überzeugt. Cuneyit „Jonas“ Bozkurt, Betreiber des Pianokellers in Reutte, verknüpft sein Plädoyer für Bildung mit zentralen Aussagen im Koran. „Im Islam ist lebenslanges Lernen Pflicht für alle Musliminnen und Muslime. Der Koran weist an mehreren Stellen darauf hin, dass Bildung und Glaube zusammengehören, für Männer wie für Frauen. Aischa, die Frau des Propheten Mohammed, war eine der gebildetsten Personen ihrer Zeit. Sie war eine Rechtsgelehrte und gab Unterricht auch an Männer“, weiß Cuneyit Bozkurt. Bildung und damit der gesellschaftliche Aufstieg bleiben in der traditionellen türkischen Gesellschaft den Frauen oft verwehrt. Viele haben nicht die Kraft, sich gegen den gesellschaftlichen Druck zu stemmen und ihren eigenen Weg zu gehen. Die Reuttener Unternehmerin Cangül Bozkurt kennt dies aus eigener Erfahrung. Sie besuchte die Berufsschule in Innsbruck und lebte einige Wochen im Jahr in einem Lehrlingsheim. „Für ein türkischstämmiges Mädchen war dies ein großer Schritt, und für das traditionelle türkische Umfeld ein Skandal. Meine Eltern mussten sich viel Kritik anhören“, berichtet Cangül Bozkurt. „Die Kinder türkischstämmiger Familien sind genauso wissbegierig und talentiert Es ist schade, wenn sie mangels Ausbildung ihren Lebensunterhalt später nur mit Hilfstätigkeiten bestreiten. Wir müssen uns gegen einen falschen gesellschaftlichen Druck stemmen und unseren Kindern eine höhere Ausbildung ermöglichen“, fordert die Unternehmerin.


Bildetxt: Ein klares Plädoyer für Bildung und Sprachkompetenz: v.l. Cangül Bozkurt, Dr. Senay Yildirim (stehend) und Cuneyit „Jonas“ Bozkurt (Foto REA)